Über das problematische und hilflose Verhältnis der Linken zu Europa
Die euroskeptische Partei Alternative für Deutschland sorgt derzeit für viel Wirbel. Eine ernsthafte Prognose über die Chancen dieses Versuchs, das Thema EU-Skepsis von rechts zu besetzen, lässt sich derzeit noch nicht aufstellen. Aber über eine andere Frage kann und sollte bereits jetzt diskutiert werden: Wie soll die Linke auf die zunehmende EU-Skepsis und die berechtigte Kritik an Strukturen und politischen Maßnahmen der EU reagieren?
Bisher hat es die Linke vermieden, die EU grundsätzlich infrage zu stellen. Linke forderten die Demokratisierung der EU und den Ausbau sozialstaatlicher Strukturen oder kritisierten die neoliberale Krisenpolitik und die Militarisierung der EU-Außenpolitik. Aber die Ablehnung der EU per se erscheint vielen Linken nationalistisch und damit rechts zu sein. Doch wäre die Auflösung der EU aus einer linken Perspektive tatsächlich ein Rückschritt? Ein zentrales politökonomisches Merkmal der EU ist die »Versachlichung« politischer Entscheidungen und Strategien. Viel ist die Rede von »Sachzwängen«, auf die in »alternativloser« Weise schnell reagiert werden müsse. Die staatlichen Exekutiven der EU-Länder stimmen sich dazu in nicht demokratisch legitimierten Gremien wie dem Ministerrat ab und legen Maßnahmen fest.
Selbst die nationalen Parlamente haben kaum Einfluss darauf – von den einfachen StaatsbürgerInnen ganz zu schweigen. Auch das EU-Parlament hat in den zentralen Politikbereichen keine Entscheidungskompetenzen. Es wird von den tatsächlichen Entscheidungsgremien lediglich informiert und konsultiert. So laufen die linksreformistischen Ansätze, dem EU-Parlament mehr Befugnisse zu geben und damit die EU insgesamt zu demokratisieren, immer wieder ins Leere. Eine grundlegende Änderung dieser Machtverhältnisse ist innerhalb der gegenwärtigen EU-Struktur nicht vorstellbar. Für eine (selbst nach bürgerlichen Demokratievorstellungen) hinreichend partizipative politische Struktur wäre nicht weniger als die Abschaffung der EU und die Schaffung einer neuen und demokratischen Kooperation in Europa nötig. Linke, die eine wirkliche Demokratisierung und die Verbesserung der Lebensverhältnisse in Europa fordern, stehen also vor der Herausforderung, eine Position zu entwickeln, die die vermeintliche Frontstellung von Pro-EU und rechter EU-Skepsis verlässt und eine linke und emanzipatorische Überwindung der EU skizziert.
Bevor wir eine solche neue Positionierung zur EU entwickeln, sollten wir über real existierende linke Gegenentwürfe zur EU sprechen. Anders als in Deutschland hat die traditionelle Linke in Südeuropa ihre Ablehnung der EU nicht abgelegt. So plädiert etwa die portugiesische Kommunistische Partei für eine national begrenzte Wirtschaft und den Austritt aus der EU und erzielt bei Parlamentswahlen mit solchen Forderungen sieben bis zehn Prozent der Stimmen. Es ist leicht, solche Ansätze auseinanderzunehmen. Es lässt sich einwenden, dass eine nationale Begrenzung der Ökonomie im Rahmen der gegenwärtigen globalen Produktionsketten schlichtweg nicht möglich ist und der Versuch mit der Isolierung und dem Bankrott des Landes enden würde. Auch weil die Forderung nach nationaler Eigenständigkeit nationalistische Ressentiments fördern könnte, scheinen solche Parolen politisch fragwürdig zu sein.
Gleichwohl haben solche linksnationalistischen Parolen eine interessante Nebenwirkung: Sie kanalisieren die EU-Ablehnung und entziehen damit den rechtspopulistischen Akteuren Stimmen. In Portugal gibt es keine rechtspopulistische Partei, die auf die EU-Skepsis setzt. Zufall? Eher nicht. Die Kommunistische Partei kann nämlich glaubwürdig vermitteln, dass sie hier die bessere Ansprechpartnerin ist.
Wesentlich schwieriger als die Kritik an solchen linksnationalistischen Vorstellungen ist der Entwurf einer gleichzeitig antinationalistischen, radikaldemokratischen und emanzipatorischen Position. Ein erster Schritt wäre, die Strategien fallen zu lassen, die auf eine Reform der jetzigen EU setzen – so etwa unter den Slogans eines »sozialen« oder »demokratischen« Europa.
Solange die Debatten sich nur darum drehen, ob die explizite Ablehnung der EU nicht doch ein Einfallstor für Nationalismus ist und ob nicht doch linke Potenziale innerhalb der EU auszumachen sind, werden wir in der Frage nicht vorankommen. Bleibt also nur, die gegenwärtigen politökonomischen Strukturen und Akteure genauer zu analysieren und die bisherigen theoretischen Debatten um Nationalstaat und Weltmarkt weiterzutreiben. Aber wäre eine so entwickelte Position als roter Faden für die politische Praxis überhaupt sinnvoll?
Denn in gewisser Weise gibt es bereits Strömungen in Europa, die sich weder an den nationalstaatlichen Grenzen aufhalten lassen, noch in die Strukturen der EU integrierbar sind. In den letzten Jahren hat eine ganze Generation junger prekarisierter ArbeiterInnen, insbesondere in Südeuropa, wertvolle Erfahrungen in Selbstorganisation und im Kampf für ein besseres Leben gemacht. Diese Menschen bewegen sich heute unter uns. Die »GastarbeiterInnen«, die, angetrieben von der Armut und Arbeitslosigkeit in Griechenland, Portugal und Spanien, nach Deutschland kommen, bringen nicht nur ihre Arbeitskraft. Sie bringen auch ihre Erfahrungen, von denen die Linke in Deutschland viel lernen kann.
So wie die migrantischen ArbeiterInnen in den 1970er Jahren für die sozialen Kämpfe eine wichtige Rolle spielten, lässt sich darauf hoffen, dass die neue Arbeitergeneration eine ähnliche Wirkung haben wird.
Dazu kann die Linke in Deutschland einen Beitrag leisten, indem sie einerseits gezielt den Kontakt mit den migrantischen ArbeiterInnen sucht und ihre Kämpfe unterstützt. Einen kleinen Schritt in diese Richtung geht etwa die Freie Arbeiterinnen- und Arbeiterunion (FAU) in Berlin mit ihrem Informationsblatt in 21 Sprachen über »Labour Rights in Germany«. Ein anderes mögliches Interventionsfeld wäre die geplante Streichung von Hartz-IV-Bezügen für EU-AusländerInnen gewesen, was jedoch in der Linken weitgehend unbeachtet blieb. Die Solidarität sollte davon begleitet sein, dass deutsche Linke auf Paternalismus gegenüber den MigrantInnen verzichten und eher zuhören und lernen.
In: analyse&kritik, Nr. 582 vom 19.4.2013